Mestizo 2.0

Oder Gesundschrumpfen Deluxe

 

Still war es geworden um den Mestizo. Vor 10 Jahren noch trat er allen eingesessenen Hörgewohnheiten in den Arsch. Mischte die hiesigen Clubs und Bühnen auf und hinterließ ein durchgeschwitztes, über alle Backen strahlendes Publikum.

Dann wurde es auf einmal stiller und stiller um die neuen Helden. Die Besucher blieben aus, wandten sich teilweise den Balkanbeatbands oder dem französischen Underground zu.

Der Mestizo schien zu stagnieren.

Zwar musikalisch auf hohem Niveau aber die Erfolge blieben aus.

Doch nun ist er wieder da. Aber anders. Die Bands specken ab. Waren zuvor Formationen von sieben bis zwölf Musiker eigentlich die Regel kommt die heutige Besetzung meist über vier Musiker nicht hinaus. Und anstatt fetter Bläserfraktionen regiert plötzlich der Elektro.

Weniger Ska, mehr Dub und Elektrocumbia. Und das erfolgreicher als je zuvor. Oder wer ist im letzten Jahr an dem Clubhit von BOMBA ESTEREO namens FUEGO vorbeigekommen?

So überraschend es mir im ersten Moment vorkam, so konsequent hatte ich wohl die ersten Anzeichen übersehen. ANA SOL von UN KUARTITO drückte mir doch vor Jahren ihr Demo LA CANDELA RUMBA SAMPLER in die Hand, worauf sie Cumbia und Raggae mit einem Soundsystem kreuzte und mir aus dem Stand besser gefiel als alle Un Kuartito Cds vorher.

FERMIN MUGURUZA schickte seine riesige Backingband in die Wüste um ebenfalls mit einem kleinen Soundsystem sein wohl bestes Album seit ETA DUT (ich weiß, nicht vergleichbar) Namens ASTATHIC LION SOUNDSYSTEMA einzuspielen.

Das gleiche gilt auch für die Platzhirsche aus Barcelona LA KINKY BEAT. Vormals die Blaupause für Mestizorock aus Barcelona par Excelence, schrumpften sie gleich um vier auf nunmehr drei Mitglieder. Übrig blieben nur noch CHARLART58 (dr), WILLY FUEGO (g) und MATA (v). Ironischer Weise legt die Restmannschaft, nach dem Abgang, vor allem von ihrem Soundsystem RUDE HIFI, der sich mit LA MARQUINA der Combat Rock zuwandte, ihr wohl bestes Album seit MADE IN BARNA auf, das ganz stark vom DUB beeinflusst ist.

 

Um diese Entwicklung ein wenig nachzuvollziehen treffe ich mich mit einigen der Protagonisten um mich auf den neuesten Stand bringen zu lassen.

 

PACO MENDOZA – das öffentlich rechtliche Gesicht

 

Meine erste Anlaufstelle hier in Deutschland ist PACO MENDOZA.

Der in Köln lebende Sohn eines peruanischen Vaters und einer paraquaischen Mutter hat bereits beachtliche Erfolge als Raggaetonsänger in seinen Projekten RAGGABUND und CARMELO & CRIMINAL erzielt. Aber die Mestizocomunity kennt ihn vor allem durch seine Zusammenarbeit mit LUCHAAMADA in Berlin, seinem kurzzeitigen Bandprojekt CLAN DESTINO und natürlich als Radio DJ der einzigen regelmäßigen Mestizosendung im öffentlich rechtlichen Rundfunk MESTIZO FM (sonntags von 14:00 – 15:00 auf WDR Funkhaus Europa)

 

Ich erreiche ihn am Rande der Aufzeichnung für seine Sendung.

 

W.Servus PACO, schön das es so schnell geklappt hat.

P: Klar, gerne doch

 

W: Du zeichnest grad Deine aktuelle Sendung MESTIZO F.M. auf. Ist das Konzept dafür auf Deinem Mist gewachsen?

P: Ja, ist es. Ich hatte Glück den WDR vor 1,5 Jahren von meiner Idee überzeugen zu können. Und es läuft nicht schlecht.

W: PACO, wir wollten vor allem heute über die neuen Entwicklungen im Mestizo reden. Kam es mir nur so vor oder hat da grade eine Zäsur stattgefunden? Alle scheinen dem Elektro zu frönen.

P: Also das läuft jetzt ca. seit vier bis fünf Jahren. Und es wird immer beliebter.

 

W: Wo ging es mit dem neuen Sound los?

P: Zuerst in Südamerika. Es ist einfacher mit kleinem Elektroequipment Musik zu machen als mit einer riesigen Band. Einer der Ersten war DJ DUFF. Er mixte ein Akkordeonstück mit einem Tanzbeat, was sehr erfolgreich war.

 

W: Ich hörte mal, das der chilenische Rockmusiker JORGE GONZALEZ einer der Vorreiter war, der schon Ende der 90er mit vielen Techno-DJS gearbeitet hat, darunter Uwe Schmidt, den vielen unter seinem Künsternamen SENOR COCONUT kennen.

P: Gut, aber das hatte weniger mit Mestizo zu tun. Das war Techno mit Latinelementen. Ziemlich klasse. Vor allem die Coverversionen.

 

W: ich hatte immer den Eindruck, dass diese Schiene eher lustig rüberkommen wollte und hab sie nie richtig ernst genommen. So geil wie die Kraftwerkplatte auch ist.

P: Findest Du?

 

W: Welchen Einfluss hatte die Cumbia Villera Bewegung aus Argentinien in dieser Entwicklung?

P: Hmmm, Cumbia Villera benutzt zwar die Mittel der Elektronik, meist sollen diese aber eher billig klingen. Die Texte und die Attitüde sind vielleicht mit dem Ghettorap vergleichbar.

Aber auf den später entstehenden Cumbia Digital hatte er eher keine Einfluss, denke ich mal.

 

W: Es haben ja schon vorher einige Mestizokünstler mit Electro gearbeitet. Ich denke da an MACACO aus Barcelona, der ja ebenfalls Ende der 90er sein erstes Album veröffentlicht hat.

Oder WAGNER PA. Aber so richtig erfolgreich war das nicht.

P: Im Vergleich zu jetzt.

 

W: Also ist der Wandel auch erfolgreich?! Weltweit?

P: Unbedingt. Die Cumbia Digital und Electrocumbia ist irgendwann in London in den Clubs gelandet und von dort hat er sich weltweit ausgebreitet. Das ist momentan ein ganz heißes Ding.

 

W: ist das der Grund warum so viele alt eingesessene Mestizokünstler plötzlich den Elektro entdecken?

P: Das, und es ist schon einfacher mit vier Musikern zu touren als mit zwölf. Ist ja auch ein Kostenfaktor.

 

W: PACO, Du hast letztes Jahr dein erstes Album (CONSCIENTE Y POSITIVO) unter deinem eigenen Namen raus gebracht. Worin unterscheidet sich seine Soloscheibe zu Deinen bisherigen Projekten?

P: Ich singe jetzt in meiner Muttersprache spanisch. Die Texte sind ein wenig persönlicher. Es fühlt sich anders an, weil ich zum ersten Mal auf niemanden Rücksicht nehmen musste.

 

W: Und wie läuft die Scheibe?

P: Sie läuft sehr gut. Besser als erwartet.

 

W: Dann noch viel Glück und danke für das Interview

P: gerne wieder.