Kuartito – „Different people, more ugly"

Ein kluger Mann bezeichnete einmal den Argentinier als „Italiener, der Spanisch spricht, gerne Engländer wär und glaubt, in Paris zu leben."

Besser kann man eigentlich die Musik von Un Kuartito nicht umschreiben.

Eine Mischung die beim hiesigen Publikum gut anzukommen scheint, da die Jungs wieder eine amtliche Europatour auf die Beine stellen konnte.

Ich treffe die Band zum „Bergfest" der Tour in Höhr-Grenzhausen bei Koblenz wo sie schon vor knapp zwei Jahren mächtig abräumten.

Allerdings sind die Mannen in denkbar schlechter Verfassung. Waren sie doch, im wahrsten Sinne des Wortes, in letzter Minute in der Tenne „aufgeschlagen". Das Konzert einen Tag zuvor in Köln muss wohl ein ziemlicher Erfolg gewesen sein, so dass die Band diesen Triumph bis in die frühen Morgenstunden begossen hatte. Dementsprechend wurde der Soundcheck auf das Nötigste beschränkt, was sich später noch rächen sollte.

Dazu aber später mehr.

Nach dem Versuch einer ersten Nahrungsaufnahme beginne ich den sichtlich angeschlagenen Mitglieder um Frontmann Martin vorsichtig erste Fragen zu stellen.

W. Hallo zusammen. Ihr seid heute das zweite Mal in der Tenne. Diesmal sehe ich aber andere Gesichter in der Formation.

M. Andere Gesichter, dafür aber hässlichere. (brüllendes Gelächter)

Nein, Ana Sol wollte sich im Moment verstärkt auf ihr Nebenprojekt (La Candela Rumba Sampler, Anmerk. Red.) kümmern.

Ist ja auch nicht das erste Mal das sie kurzfristig aussteigt. Wir werden sehen.

Emiliano und Rogelio touren gerade mit Fidel Nadal von Toddos tus muertos.

W. Die Tour läuft nun seit zwei Wochen. Wie lief s bisher? Ihr wart gestern in Köln.

M. Köln war unglaublich. Allerdings zu viel Party im Anschluss (zustimmendes Stirnrunzeln und Schläfenmassieren)

W. Un Kuartito wurde 1992 gegründet. Kurz darauf habt Ihr noch den CIRCO MARICSO gegründet.

Eine Truppe von Straßenkünstlern und Clowns mit denen Ihr immer noch parallel zu Un Kuartito aktiv seid.

M. Ja Pepe, Emiliane und ich genießen das sehr.

W. Elemente dieses Programms baut Ihr ja immer wieder in Eure Shows ein

M. Normalerweise ja. Leider konnte Emiliano aus besagten Gründen nicht mit. Und er ist für die Jonglagen zuständig. So das wir es diesmal ausfallen lassen müssen.

W. Im selben Jahr ging es gleich auf Tour mit MANO NEGRA mittels Schiff durch Südamerika.

M. Stimmt, allerdings nicht als Un Kuartito sondern als Circo Maricso. Wir waren die Clowns und Jongleure.

Die Tour war für Manu (Chao) so was wie der Testlauf für die kurz darauf durchgeführte Tour per Zug durch Kolumbien. Zumindest hat er dort wohl Blut geleckt. (schön dokumentiert in dem Buch „Ein Zug aus Eis und Feuer" von Ramon Chao" Anmerk. Red.)

2000 haben wir dann in Argentinien als Un Kuartito im Vorprogramm von Manu Chao gespielt.

W. Auf der Cargotour 92 habt auch Gambeat kennengelernt, den damaligen Bassisten der Frenchlovers und später Manu Chaos.

Hat er nicht auch Euer Album „No Pares" produziert? Wie war es mit ihm zu arbeiten? Che Sudaka machte seine strenge Arbeitsmoral stellenweise schwer zu schaffen.

M. Nein, er hat nur einen Song von uns (In the house) gemischt. Er kam ins Studio und sagt „spielt". Wir spielten, er sagte „OK, ab hier beginnt mein Job". An mehr kann ich mich nicht erinnern. (Gelächter)

W. Als Ihr Un Kuartito gegründet habt war die Militärdiktatur bereits neun Jahre Geschichte. Trotzdem ist Argentinien immer noch kein ruhiges Pflaster.

M. Ganz und gar nicht. Die Inflationsrate scheinen wir jetzt einigermaßen im Griff zu haben, aber die extreme Ungleichheit und Kriminalität ist nach wie vor ein Problem.

W. Ich habe mal gelesen das die Löhne der Banker in Argentinien zu den Höchsten in Südamerika zählen, die Durchschnittslöhne aber zu den Niedrigsten gehören.

M. Exakt. Es gibt auch eine hohe Arbeitslosigkeit. Dadurch bilden sich immer mehr Ghettos. Die Kriminalität nimmt immer mehr zu.

Die Polizei ist käuflich und knallt je nach Lust und Laune Menschen auf der Straße ab.

W. Nach den Ausschreitungen im Dezember 2001 in deren Folge die Regierung gestürzt wurde fand wenigstens ein Umdenken statt.

M. Na, ja. Ein kleiner Fortschritt

W. Zumindest ist die Sprachlosigkeit in der Musik einer politischen Auseinandersetzung gewichen. Bands wie Manos de Filippi legen den Finger doch sehr deutlich auf Wunden.

M. Manos de Filippi sind sehr politisch und benutzen eine sehr direkte krasse Sprache. Stimmt so was war vorher undenkbar gewesen.)

W. Des Weiteren gibt es mit der Cumbia Villera mittlerweile einen argentinischen Ableger des amerikanischen Raps.

M. Musikalisch sind diese Bands ganz anders. Textlich hast Du aber recht. Sie glorifizieren ihr Ghettoleben. Finden Drogen, Prostitution und Bandenkriege ne tolle Sache. Eine bedenkliche Entwicklung. Sie hinterfragen nicht mehr die Gründe für ihr Schicksal.

Manos mögen krass sein, sie benennen aber die Probleme im Land. So was ist immer kreativ und birgt die Chance eine Veränderung.

Villera verändert nichts. Im Gegenteil. Sie zementieren diese Probleme.

(sprachs und schnitt sich mit einem Messer den Finger am Tisch ab – natürlich eine Attrappe – brüllendes Gelächter)

W. Am Schluss Eurer Cerca del Mar-Tour habt Ihr in Buenos Aires eine große Abschlussshow gespielt. Mit zahlreichen Gastmusikern, das Un Kuartito-Maskottchen, die tanzenden Skelette, rechts und links von der Bühne… habt Ihr die Show mitgeschnitten?

M. Wir schneiden jede Show audiomäßig mit. Diese haben wir zusätzlich noch mit ein paar Kameras gefilmt. Mal schauen was wir mit den Aufnahmen anstellen. Übrigens haben wir zur aktuellen Toureröffnung wieder ein ähnliches Konzert veranstaltet. Wieder mit den tanzenden Skeletten, einer Videowand und Gastmusikern wie dem Gitarristen von 2 Minutos.

W. Ihr habt Eure neue CD „Otra Vez Sopa" mit im Gepäck. Ich war überrascht dass ich die meisten Lieder schon kannte.

M. (Gelächter) Die meisten Songs stammen von unserem zweiten Album SKALOFRIANTE. Das Album ist seinerzeit bei Sony erschienen.

Leider ist das Album nirgends mehr zu kriegen und Sony scheint kein Interesse zu haben es noch mal aufzulegen. Aber wir spielen die Songs einfach gerne live. Von daher wirst Du sie kennen. Wir werden immer wieder nach unseren Konzerten auf diese Songs angesprochen. Also haben wir sie neu eingespielt.

W. Eure letzen zwei Studioalben sind in Deutschland bei Übersee-Records erschienen. Wird diese wieder dort rauskommen?

M. Nein. Wir haben festgestellt, dass wir im Verhältnis die meisten CDs auf Tour absetzen. Von daher verzichten wir diesmal auf ein Label als Zwischenhändler.

W. Wie sehen Eure Pläne für nach der Tour aus?

M. Dann sind wir erstmal einen Monat von der Stadt Buenos Aires mit unserem Circo Maricso für ein Festival gebucht.

Das machen wir seit zehn Jahren. Jedes Jahr.

W. Zum Schluss noch eine Frage zu unserem aktuellen Heftmotto. Was fällt Euch zu Konsumverzicht ein?

M. Alter, konsumiere nie mehr Alkohol als was Du vertragen kannst. Verzichte da lieber. (Gelächter)

Nachdem ich die Verfassung der Band mitgekommen habe schwant mir schon böses für den Auftritt.

Als ich die Tenne betrete ist der gemütliche Laden schon recht gut gefüllt. DJ G.I.D. vom Groovalistic Soundsystem hat schon für ein wenig Bewegung im Publikum gesorgt.

Als Un Kuartito die Bühne betreten scheint sich meine Vorahnung erst zu bewahrheiten: Der Sound ist bescheiden, die Band angeschlagen und angepisst.

Das gibt sich aber zum Glück nach ca 15 min. Der Sound ist plötzlich glasklar und druckvoll. Die Band kommt auch langsam in Schwung.

Dies überträgt sich dann auch schnell auf das Publikum, das bis in die letzte Reihen ausgelassen tanzt.

Die Stimmung bei Band und Publikum steigert sich beinahe minütlich, so das nach dem „Rausschmeißer" „Stand by me" noch eine außerplanmäßige Zugabe nachgeschoben wird.

Und da die Tenne keinen Backstagebereich hat feiern und tanzen die Argentinier zusammen mit Ihren Fans, wiedermal bis in die Morgenstunden zum Set von DJ G.I.D. Na dann viel Spaß morgen in Berlin.